piwik no script img

Schönheit der Champions LeagueMichelangelos Heuschrecken

Die Champions League ist die vielleicht schönste Liga der Welt. Trotz aller Widerlichkeiten kann sich ihr kaum jemand entziehen.

Emotionaler Irrsinn: Davide Frattesi ist außer sich nach dem spielentscheidenden vierten Treffer für Inter Foto: Luca Bruno/AP/dpa

I st die Champions League die schönste Liga der Welt? Das muss man wohl fragen nach dem atemberaubenden 4:3 von Inter Mailand gegen Barca im Halbfinale. Wenn Michelangelo Fußball erschaffen würde, hätte er dieses Spiel erschaffen, so hat es ein Fan auf Social Media beschrieben. Und auch die, die gegen Uefa, Großklubs und Turbokapitalismus sind, können sich dem Spektakel dieses Wettbewerbs nicht entziehen. Nun werden überall die ganz großen Spiele aus der Mottenkiste geholt, das Drama der Bayern 1999 gegen Manchester United, die irre Aufholjagd von Liverpool gegen Milan im Finale 2005, das Wunder des BVB gegen Malaga und so fort.

Und das wirklich Wundersame ist, dass diese Spiele weltweite Referenzpunkte sind. Beinahe jeder, zumindest männliche Weltbewohner, kann etwas damit anfangen, von Suriname bis Tadschikistan. Das unterscheidet die Champions League von lokalen Legenden wie jüngst dem Finaleinzug der Arminia gegen Leverkusen. Auch diese Partie wird immer wieder erzählt werden, aber eben vor allem auf der Alm.

Die Champions League dagegen produziert ganz lokale Dramen wie das verlorene Finale Dahoam für ein globales Publikum. Das geteilte Leid ist Teil ihrer Magie. Anders als etwa Weltmeisterschaften, deren legendäre Spiele wie der deutsche 7:1-Sieg gegen Brasilien eben doch eher eine na­tio­na­le Erzählung werden. Inter gegen Barca kann je­de:r feiern. Und schönerer Fußball als bei der WM ist es halt auch – was vielleicht ein Grund ist, warum die Champions League mehr Aufholjagden produziert. Die Teams sind eingespielter, kreieren mehr Torchancen, sind zumindest in den späteren Duel­len auch eher auf Augenhöhe als bei Länderturnieren.

Widerlichkeiten des echten Lebens

Vielleicht stimmt es also schon, dass das hier der schönste Wettbewerb ist, den es gibt. Einer, bei dem man einfach nicht wegschauen kann, auch wenn so viele Widerlichkeiten darin stecken. Sie hat also viel vom echten Leben, die Champions League. Die Widerlichkeiten des echten Lebens treffen sich nun auch zum Finale. Das katarische Propagandaprojekt PSG hat es dorthin geschafft, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo die Herrscher gar nicht mehr viel Lust haben, in Paris zu investieren. Das Prestigeprojekt Katar-WM ist vorbei, die Fantasie-Showtruppe längst weiterverkauft, andere Märkte interessanter. Frankreich ist zu klein geworden für Katar. Welche Ironie wäre es, wenn gerade dieses PSG siegte.

Im Finale trifft der Klub nun auf Inter, frisch erworben vom US-Investmentkonzern Oaktree. Der Kauf ist Teil einer massiven neuen Einflussnahme zweifelhafter US-Heuschrecken in Europas Fußball; zwischen 2018 und 2022 gingen allein elf italienische Profiteams in US-Besitz über. Italiens Fußball gilt dort als distressed asset: Dringend in Geldnot, unter Wert zu kaufen und mit viel Wertsteigerungspotenzial, weil die Infrastruktur oft noch marode ist. Die US-Amerikaner sind die wichtigsten neuen Machthaber im europäischen Fußball. Es spielt also altes Geld gegen neues Geld, wenn man so will. Und ein bisschen spielen auch die USA gegen die USA: Katar hat schon einen Anteil von PSG an einen US-Investor abgestoßen.

Wo europäischer Fußball drauf steht, ist kaum noch europäischer Fußball drin. In den letzten 20 Jahren ist ein massiver Ausverkauf von Klubs an finanzkräftigere Käufer aus dem außereuropäischen Ausland geschehen, der kaum so systemisch thematisiert wird. Auch fußballerisch hat der kriselnde Kontinent viel Einfluss auf die eigenen Geschicke verloren. Erstaunlich, dass so wenige Klubs die Risiken sehen. Die spanischen Riesen Real und Barca sind da fast schon anachronistisch.

Die Champions League erzählt nicht mehr nur Geschichten für die Welt, sie gehört auch der Welt. Den Superreichen jedenfalls. Das ist ein Unterschied, den man nie vergessen sollte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!